Karin Teichmann zeigt den EUREF-Campus.

© BMWi/Phil Dera

Karin Teichmann hat den Überblick. Am Horizont zeichnet sich die Berliner Skyline ab, die City West mit Europa-Center und Gedächtniskirche ist ebenso zu sehen wie die Neubauten am Potsdamer Platz und das nahegelegene Schöneberger Rathaus, von dessen Balkon John F. Kennedy seine berühmten Worte sprach: „Ich bin ein Berliner!“. Die eigentliche Attraktion, die Karin Teichmann dem Besucher zeigt, liegt direkt zu Füßen des Gasometers, dessen markantes Eisenskelett seit über hundert Jahren hier in den Himmel über Berlin-Schöneberg ragt. Am Fuße des denkmalgeschützten Baus wird an der intelligent vernetzten nachhaltigen Stadt von morgen geforscht und gearbeitet – auf dem EUREF-Campus.

Seit 2007 entwickelt die EUREF AG – EUREF steht für Europäisches Energieforum – das ehemalige Gewerbeareal. Die Vision war von Anfang an klar: Auf dem fünfeinhalb Hektar umfassenden Gelände sollten sich innovative Zukunftsideen und -projekte wie Lichtstrahlen in einem Brennglas bündeln. Übergeordnetes Leitmotiv der Aktivitäten ist die Energiewende, es geht um Urbanität der Zukunft, um Energie, Mobilität und Infrastruktur. Karin Teichmann ist als Prokuristin der EUREF AG verantwortlich für die Bereiche Strategie und Geschäftsentwicklung. Eine Kernbotschaft liegt ihr am Herzen: „Wir leben hier die Energiewende, sind Vorreiter in Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Gleichzeitig sind wir aber auch ein Wirtschaftsunternehmen und verdienen mit diesem Gelände Geld. Das ist für mich kein Widerspruch - ganz im Gegenteil. Die Energiewende muss sich wirtschaftlich tragen können.“

Zurück auf festem Berliner Boden beginnt Karin Teichmann ihren täglichen Rundgang über den Campus. „Ich bin hier so eine Art Hausmeisterin“, schmunzelt die 44-Jährige, „mindestens zwei Stunden täglich verbringe ich draußen, lebe und liebe unser Campus-Konzept. Denn wir vermieten nicht nur Räume, wir bringen Menschen zusammen und regen sie zu Austausch und Zusammenarbeit an.“ Was den EUREF-Campus ausmacht, ist die Mischung: Hier treffen Großunternehmen wie Cisco, die Deutsche Bahn oder Schneider Electric auf kommunale Betriebe wie die BVG, die Stadtreinigung (BSR) oder die Berliner Wasserbetriebe. Renommierte Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer und die Technische Universität Berlin sind hier ebenso zu finden wie junge, innovative Start-ups.

Im Gespräch mit Karin Teichmann auf dem EUREF-Campus

© BMWi/Phil Dera

Letztere fördert der Inkubator „Green Garage“. Vor dessen Gebäude herrscht an diesen sonnigen Spätsommertag eine entspannt-kreative Atmosphäre: Wie auf einem Universitätscampus sitzen junge Menschen in Gruppen zusammen, Laptops auf den Knien. Alle kennen Karin Teichmann, hier ein Gruß, dort ein kurzes Gespräch, nicht immer geht es dabei um die großen Visionen von Nachhaltigkeit, oft auch einfach um die kleinen und alltäglichen Dinge, die es so zu besprechen gibt zwischen Mieter und Vermieter. „Für die jungen Gründer, die Forscher und Studenten ist so ein entspannter Umgang miteinander ganz selbstverständlich“, erklärt „Hausmeisterin“ Teichmann, „die großen und etablierten Unternehmen sind zumindest am Anfang oft etwas zurückhaltender.“

An der Stromtankstelle schließt Dr. Kristina Bognar ein Elektrofahrzeug zum Laden an.

© BMWi/Phil Dera

Die Start-ups entwickeln Ideen und Visionen für die Welt von morgen, doch auf dem EUREF-Campus ist die Energiewende schon heute real zu sehen und zu erleben. Auf dem Gelände erzeugen Kleinwindanlagen und Photovoltaikpanels elektrischen Strom. Dieser wird einer Ladestation für Elektrofahrzeuge zugeführt. Die Akkus der Autos können für diese erneuerbare Energie als Speicher genutzt werden, wenn das Gelände einmal mehr Strom erzeugt als verbraucht. An der Stromtankstelle schließt Dr. Kristina Bognar gerade einen Stadtflitzer zum Laden an. Ihr Unternehmen, Schneider Electric, betreibt das „Micro Smart Grid“ des EUREF-Campus. Das intelligente Netzwerk regelt von einer zentralen Leitwarte aus das komplexe Zusammenspiel von Energieerzeugung, -speicherung und -verbrauch und verbindet den Campus mit den umgebenden Netzen. „Was wir hier aufgebaut haben, ist keine Simulation, sondern ein Microgrid im Realbetrieb“, erklärt Bognar. Aber funktioniert so ein smartes Energienetz auch im größeren Maßstab? „In einem größeren Smart Grid ist es sogar einfacher, die Frequenz und damit den Stromfluss stabil zu halten. Denn je kleiner ein solches Netzwerk ist, desto größer ist der Einfluss jeder einzelnen Komponente.“

Micro Smart Grid“ im EUREF-Campus

© BMWi/Phil Dera

Auf dem EUREF-Campus ist zu sehen, dass die Energiewende nicht nur eine Vision ist, sondern schon heute ganz real funktioniert. Das Vorzeigeprojekt als Forschungscampus der Bundesregierung und Referenzort für die Smart City-Strategie des Landes Berlin zieht immer wieder hochrangige Besucher aus der ganzen Welt an. „Auch aus Hightech-Nationen wie Singapur oder Japan kommen Delegationen zu uns, die so etwas wie unser intelligent vernetztes, nachhaltiges Stadtquartier noch nie gesehen haben“, erzählt Karin Teichmann und fügt hinzu: „Schon seit 2014 halten wir die Klimaziele der Bundesregierung für 2050 ein. Das fällt natürlich nicht vom Himmel: Unsere Neubauten erfüllen die höchsten Energiestandards. Aber: Alle Materialien, alle Technik, die Sie hier sehen, gibt es bereits am Markt. Energiewende und Klimaschutz sind keine Raketenwissenschaften.“

Nicht nur die Energiewende, auch autonomes Fahren ist in Berlin-Schöneberg schon heute Realität. Als verkehrsbeschränktes Gelände im Herzen Berlins ist der EUREF-Campus nicht nur das erste Testfeld seiner Art in Deutschland, sondern weltweit einer von sehr wenigen Orten, an dem die Mobilität der Zukunft getestet wird. Im November 2016 wurde auf dem Gelände einer der ersten selbstfahrenden Elektrobusse Deutschlands in Betrieb genommen. Mehr als 2.300 Personen hat der Shuttle – ein Gemeinschaftsprojekt des Innoz (Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel) mit der Deutschen Bahn und dem Land Berlin – in den ersten Monaten befördert. Im August wurde der autonome Verkehr erst einmal unterbrochen: „Wir haben eine Sommerpause eingelegt, um in Ruhe mit allen Projektbeteiligten die Praxiserfahrungen auszuwerten und daraus unsere Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen“, erklärt Karin Teichmann und fügt hinzu: „Noch in diesem Herbst geht der autonome Shuttlebetrieb bei uns auf dem EUREF-Campus weiter, und das bestimmt noch deutlich besser als zuvor."