Das Bild zeigt Sally Schulze, Gründerin von MentalStark

© Sally Schulze

„Vor dem Burn-out kommt burn“ ist sicher keine neue Erkenntnis, dennoch fasst dieser Satz perfekt zusammen, worin die Schwierigkeit beim Balanceakt zwischen Anspannung und Entspannung, auch auf der Arbeit und gerade auch für Gründerinnen und Gründer liegt. Denn Menschen, die sich für etwas begeistern, ihre Kräfte und Talente dafür einsetzen, eine Idee in die Tat umzusetzen und ein hohes Level an Commitment an den Tag legen, wenn es um ihre berufliche Zukunft geht, die geben viel. Und manchmal mehr, als ihnen guttut.

Gründerinnen und Gründer stehen oft besonders unter Druck, ohne dass für sie die gesetzlichen Vorgaben gelten, die Angestellte vor zu langen Arbeitszeiten und zu vielen Überstunden schützen. Start-ups müssen, so die Annahme, dynamisch und flexibel sein, weil sie oftmals in jungen oder noch nicht existierenden Märkten unterwegs sind und ihre Geschäftsmodelle testen und gegebenenfalls an die Marktgegebenheiten anpassen müssen. Da bleibt es nicht aus, dass das Gründungsteam mehr Stunden arbeitet als üblich und zum Teil erhebliche Belastungen in Kauf nimmt, um dem eigenen Unternehmen zum Erfolg zu verhelfen.

Belastung im Auge behalten

Daran ist zunächst einmal nichts Schlechtes, es kommt nur darauf an, die eigene Belastung als Gründende im Blick zu behalten. Denn wichtig ist auch, nicht aus den Augen zu verlieren, ob sich der übermäßige Einsatz lohnt und sich die Unternehmung in die richtige Richtung bewegt oder Ressourcen zielführend eingesetzt werden. Ein Start-up ist kein Baby: Das Unternehmen muss für die Menschen da sein und nicht andersherum. Deshalb sollte alles mitgedacht werden: Timeline, Sales Funnel und die verfügbaren persönlichen Kapazitäten. Stellt man fest, dass man mit den eigenen Kapazitäten an die Grenzen kommt, stellt sich die Frage „Wie lange will ich das noch so durchziehen?“ und „Ist das sinnvoll?“.

Die eigenen Belastungsindikatoren kennen

Woran man merkt, dass die Belastung zu hoch wird, ist individuell. Ob es plötzlich einsetzende Schlaflosigkeit ist, Appetitlosigkeit oder sich die Überbelastung in anderer Form zeigt: Jede und jeder hat eigene Belastungsindikatoren. Diese funktionieren wie eine Ampel, sie weisen darauf hin, wann sich der eigene mentale Zustand verschlechtert und auch – je nach Ausprägung – wie ernst die Situation schon ist. Schritt eins bei der Prävention gegen mentale Überbelastung ist demnach, die eigenen Warnsignale zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Anschließend ist es an der Person selbst zu klären, wo aktuell die Prioritäten liegen. Denn es ist, wie eingangs erwähnt, durchaus legitim, z.B. am Tag vor einem wichtigen Pitch dranzubleiben, obwohl die eigene Belastungsampel schon angesprungen ist. Gründerinnen und Gründer sollten sich bewusst sein, dass sowohl die Gründung als auch die ersten Jahre danach immer fordernd sein werden und die Hypothek, die sie auf die eigene Gesundheit aufnehmen, nicht zu groß werden lassen. Hier gilt der wohlbekannte Satz „Gründung ist ein Marathon, kein Sprint“.

Zwei Wege zum Umgang mit Belastungssituationen

Ist die Situation erkannt, stellt sich die Frage: Wie kann ich Stress bekämpfen und trotzdem fürs eigene Start-up Leistung bringen? Dazu gilt es, individuelle Lösungen auf zwei Ebenen zu entwickeln. Einerseits müssen ganz persönlich auf der Verhaltensebene Maßnahmen ergriffen werden, wenn die Belastung hoch ist – beispielsweise durch einen inneren „Check“, wie es aktuell um die Erfüllung von Grundbedürfnissen wie Schlaf, Ernährung, Bewegung und sozialen Kontakten bestellt ist. Hier kann man auch die unterschiedlichen Anteile der eigenen Persönlichkeitsstruktur nutzen, um für Ausgeglichenheit zu sorgen. Wer beispielsweise weiß, dass er oder sie gerne auch mal faulenzt, der kann diese Tendenz aktiv mit in die Tagesgestaltung einbauen und dafür sorgen, dass trotz allem Engagement für das Start-up noch Zeit ist, um auf dem Sofa zu liegen und nichts zu tun. Wer Probleme hat, einen klare Trennung zwischen Arbeitstag und Feierabend zu machen für den oder die kann es hilfreich sein, den Laptop und damit alle Aufgaben im Büro zu lassen und nicht mit nach Hause zu nehmen. Unterm Strich geht es darum, eine Balance zwischen den Anteilen der eigenen Persönlichkeit herzustellen, die sich Entspannung und denjenigen, die sich Action wünschen.

Weiterhin gilt es, sich gerade als Gründerin oder Gründer auch auf konzeptioneller und gedanklicher Ebene damit auseinanderzusetzen, wie viel Verantwortung man bei sich selbst verortet und zu klären, wo man eventuell Aufgaben und Verantwortlichkeiten abgeben kann, um Entlastung herbeizuführen. Gerade durch die weitverbreitete Tendenz, die Gründerinnen- bzw. Gründerpersönlichkeit stark zu überhöhen, liegt hier ein ganz besonderer Fallstrick.

Von Anfang an die richtigen Strukturen schaffen

Mentale Gesundheit sollte als Gradmesser für die eigene Lebensqualität und so auch als Voraussetzung für die eigene Leistungsfähigkeit betrachtet werden – ungeachtet der Position im Unternehmen. Daher sollte es klare Leitplanken geben, die im Gründungsteam offen diskutiert und definiert werden. Es sollte einer Art Frühwarnsystem etabliert werden, um bei Bedarf rechtzeitig gegensteuern zu können.

Das kann über die Schaffung von Regeln und Strukturen passieren, bei denen beispielsweise auch für das Gründungsteam gilt, dass drei Wochen Urlaub am Stück genommen werden dürfen und in dieser Zeit Kundentermine entweder von anderen übernommen werden oder warten müssen. Oder auch über die frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Thema Ownership und der Frage, was von anderen erledigt werden kann. Grundsätzlich sollten sich Gründerinnen und Gründer an den arbeitsrechtlichen Vorgaben orientieren, die auch für Arbeitnehmende gelten.

Mentale Gesundheit muss auch in der Gründungsszene einen offeneren Umgang erfahren

Für die Zukunft wäre es wünschenswert, dass mit dem Thema mentale Gesundheit auch in der Start-up-Szene offener umgegangen wird. Dabei können Unterstützungsangebote durch geschultes Personal, wie etwa in Gründungszentren, ein erster Schritt sein, um Gründende dafür zu sensibilisieren und in Belastungsphasen zur Seite zu stehen.


Über die Autorin:
Sally Schulze ist CEO und psychologische Leitung der Onlineplattform MentalStark. Sie ist Diplompsychologin, approbierte Psychotherapeutin und Expertin für Frauenheilkunde sowie zertifizierte Beraterin beim Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland (BKiD) und Mitglied der Europäischen Gesellschaft für Reproduktion und Embryologie.