Digitale Transformation, Innovation und Kulturwandel in Kommunen. Stadt.Land.Digital im Gespräch mit Alexander Handschuh vom Deutschen Städte- und Gemeindebund

© Baris Cihan

Jansen: Teilen Sie den Eindruck, dass die Digitalisierung deutscher Kommunen auf einem guten Weg ist? Vor welchen Aufgaben stehen die Kommunen hier?

Handschuh: Es ist richtig, dass in der letzten Zeit viel in Bewegung gekommen ist. Viele Kommunen haben sich auf den Weg gemacht, ‚smart(er)‘ zu werden. Dabei ist die Digitalisierung nicht nur ein Thema für die großen Städte! Bei der digitalen Transformation der Städte sehen wir uns zwei großen Herausforderungen gegenüber: Zum einen hat die Veränderungsgeschwindigkeit zugenommen. Das heißt, der Zeitraum zwischen einer Veränderung und der nächsten wird immer kürzer und die Kommunen müssen mithalten. Zum anderen stellt die digitale Transformation einen umfassenden Wandel dar. Es betrifft eben nicht ‚nur‘ die Verwaltung, ‚nur‘ den Energiesektor oder ‚nur‘ den Gesundheitsbereich. Die Digitalisierung schließt alle Bereiche ein und es ist eine schwierige Herausforderung, alle Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten. Daher ist mein Tipp, dass man sich zuerst darauf konzentriert, was vor Ort am meisten gebraucht wird und demnach den größten Nutzen hat. Ziel ist es, die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu steigern. Dabei geht es nicht darum, immer alles neu zu erfinden, sondern gute Ideen können auch kopiert werden. Zentral ist es, digitale Teilhabe für alle zu ermöglichen. Die Kommunen haben daher die Aufgabe, die digitalen Kompetenzen in den Verwaltungen und in der Gesellschaft zu fördern, um einer digitalen Spaltung vorzubeugen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Wir sind unterwegs, aber noch lange nicht angekommen.

Dieke: Stadt.Land.Digital hat im Herbst 2019 eine Studie zur Digitalisierung deutscher Kommunen durchgeführt. Zwei Dinge wurden deutlich: Noch nicht alle Kommunen hatten das Thema Digitalisierung auf ihrer Agenda. Und vor allem bei der Priorisierung der Digitalisierungsthemen gab es noch Handlungsbedarf. Hier wird natürlich die individuelle Lage der Kommunen vor Ort berücksichtigt. Oft haben wenige Projekte mit einem konkreten Nutzen bessere Erfolgschancen, als wenn versucht wird, alles gleichzeitig umzusetzen. Dabei ist die Umsetzung von guten Ideen ‚von oben herab‘ meist nicht der Schlüssel zum Erfolg. Denn digitale Neuerungen müssen erst von vielen Bürgerinnen und Bürgern angenommen werden, um ihren vollen Nutzen zu entfalten. Hier werden die kommunalen Projekte auf eine Geduldsprobe gestellt. Allerdings hat die aktuelle Pandemie-Lage den Anstoß gegeben, sich verstärkt mit Digitalisierung zu beschäftigen. In der geplanten Neuauflage der Kommunalstudie im ersten Quartal 2022 wird sich zeigen, was sich seit 2019 verändert hat.

Jansen: Welche thematischen Prioritätensetzungen erwarten Sie in der Post-Corona Zeit für die Entwicklung von Smart Cities bzw. Smart Regions im ländlichen Raum?

Handschuh: Für den ländlichen Raum ist besonders die Überbrückung von Distanzen ein wichtiges Thema. Die Digitalisierung bietet hier großes Potenzial. Im Verkehrsbereich gibt es bereits viele gute Beispiele, die sowohl auf dem Land als auch in der Stadt die Lebensumstände der Bürgerinnen und Bürger verbessern. Beispielsweise gibt es Projekte, bei denen durch künstliche Intelligenz die Ampelschaltung an Einsatzfahrten von Rettungskräften angepasst wird. Medizinische Hilfe wird somit schneller gewährleistet, die Gesundheitsversorgung verbessert. Aber auch Bereiche wie der Tourismus können von der Digitalisierung profitieren. So werden durch die Augmented Reality touristische Orte oder Sehenswürdigkeiten digital angereichert und erlebbar. Spezielle Förderprogramme nehmen die Digitalisierung ländlicher Regionen in den Fokus: Das Projekt „Digitale Dörfer“ des Ministeriums des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz, des Fraunhofer IESE und der Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz ist eines der ersten mit diesem Fokus gewesen. Diese Projekte zeigen neue Chancen für ländliche Regionen durch die Digitalisierung auf und machen sie zu einer attraktiven Alternative zum Wohnen in der Stadt.

Dieke: Die digitale Transformation hat nicht das Ziel, neue Bedarfe zu decken, sondern vielmehr bessere Lösungen für bestehende Bedarfe zu schaffen. Der eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. hat im Sommer eine Studie zu Chancen der Digitalisierung vorgelegt, die das größte Potenzial in den Bereichen Bildung, Verwaltung und Gesundheit sieht. In diesen drei Branchen hat staatliches Handeln große Bedeutung, und Städte, Gemeinden und Landkreise sind gefragt, dieses Potenzial zu erschließen. Um dabei auch die Innovationskraft privater Unternehmen zu nutzen, halte ich die wachsende Zusammenarbeit von Kommunen mit privaten Unternehmen und Start-ups für vielversprechend. Durch diese Kooperationen werden Innovationen in den Alltag der Bürgerinnen und Bürger eingeführt und erhöhen ihre Lebensqualität. Ein gutes Beispiel sind zum Beispiel die MeinDorfApps, die der Landkreis Gießen schon ab 2020 in Auftrag gegeben hat – übrigens ohne Fördergelder vom Bund.

Jansen: Oft stellt nicht nur der technische Aspekt der Digitalisierung eine Herausforderung dar. Die digitale Transformation bedarf auch eines Kulturwandels in den Kommunalverwaltungen. Wo liegen hier die Herausforderungen und wie sehen erfolgreiche Lösungsansätze aus?

Handschuh: Digitalisierung findet auf jeden Fall in den Köpfen der Menschen statt und ist eine Einstellungsfrage. Neue Dinge können nur erprobt werden, wenn es die Möglichkeit gibt, Fehler zu machen und aus diesen zu lernen. Dies haben bereits viele Kommunen erkannt und haben sich auf den Weg gemacht, eine Fehlerkultur in den Verwaltungen zu etablieren. Jedoch darf man bei der Forderung nach mehr Agilität in den Verwaltungen nicht vergessen, dass es Grenzen für diese Spielräume gibt. Eine Kommune kann nicht wie ein Start-up arbeiten und das darf auch nicht das Ziel sein. Aber ein bisschen Start-up-Flair in einigen Prozessen kann durchaus kommunale Strukturen verbessern und einen Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger schaffen.

Jansen: Vielen Dank für das Gespräch.