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Der Bürger muss souverän werden im Umgang mit Daten. Das ist der Schlüssel zur Demokratie im digitalen Zeitalter – und für den Wettlauf um wirtschaftliche Innovationen.
Der IT-Gipfel beschäftigt sich in diesem Jahr mit dem Thema digitale Bildung. Dieser Fokus ist von überragender Bedeutung. Denn die Frage der Bildung steht noch immer im Schatten der technischen und rechtlichen Dimensionen der Digitalisierung. Sie wurde bislang auch zu kleinteilig aufgenommen: Breitbandanschlüsse für Schulen, Tablets für Schüler und Programmieren als Schulfach sind sicher notwendig. Sie liefern die Hardware der digitalen Bildung. Aber sie erfassen bei weitem nicht hinreichend, worum es eigentlich geht. Nämlich darum, die Software zu beherrschen, ein neues Betriebssystem der Bildung im 21. Jahrhundert zu verstehen und zu vermitteln.
Die Digitalisierung führt in ein neues Maschinenzeitalter. Dies ist eine technologische Transformation mit universellen Folgen. Berufe gehen unter, andere entstehen neu. Arbeit wird neu definiert. Der Wandel hat die Gesellschaft erfasst und die sozialen Beziehungen verändert. Das ist mittlerweile in vielen Büchern, Zeitungsartikeln und Blogs beschrieben worden. Ganz überwiegend steht dabei die Sorge im Mittelpunkt, dass der Mensch in neue Abhängigkeiten gerät, die er nicht durchschaut. Als Konsument kenne er nur die bunte Benutzeroberfläche der zahlreichen digitalen Angebote, begreife aber nicht das darunter liegende System und die Bedingungen, nach denen es funktioniert.
Internetkritiker folgern, dass der Mensch der digitalen Moderne den Status eines mündigen Bürgers verliert. Was nunmehr erkennbar schwer fällt, ist der Schritt von dieser dunklen Vorhersage zu einer positiven Erwiderung. Sie müsste ebenso umfassend ausfallen wie die Aufforderung aus der Epoche der Aufklärung, den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu finden. Digitale Bildung kann den Weg zu diesem Ausgang weisen. Sie darf allerdings nicht zur bloßen Technikanwendung kleingeschreddert, sondern müsste im Gegenteil gesellschaftspolitisch ausgeweitet werden, zum fundamentalen Orientierungswissen des 21. Jahrhunderts. Es geht erneut um den einst von Humboldt formulierten Anspruch der Bildung als Weg zu Selbstbestimmung und Emanzipation. Auch im digitalen Zeitalter geht es um Bildung zu Kompetenz UND Orientierung. Kompetenz zum Verständnis und zur Beherrschung der Technologie- Aber eben auch Orientierung in einer komplexen digitalen Welt.
Die Angst vor Fremdbestimmung in der digitalen Gesellschaft hat vor allem mit dem Kontrollverlust über Informationen zu tun. Das Individuum ist nicht mehr in der Lage, die zunehmende Verfügbarkeit und grenzenlose Vernetzung von Informationen, die etwas mit der eigenen Person zu tun haben, zu übersehen und zu kontrollieren. Dass Daten unser Fahrverhalten lenken, unsere Kaufentscheidung steuern, vielleicht sogar unsere Partnerwahl beeinflussen sollen, empfindet der analoge Mensch noch immer als Zumutung. Und doch zeigen diese Beispiele, wie sehr wir heute bereits das leben, was gestern noch Science-Fiction hieß. Apps und Algorithmen gestalten unseren Alltag und nicht selten helfen sie uns, versorgen uns mit Kenntnissen, nehmen uns Arbeit ab, verhalten sich nach unseren Vorgaben. Die Benutzeroberfläche ist eben nicht nur bunt, sie funktioniert auch.
Wer nicht nur auf Abwehr schaltet, sondern die erweiterten Möglichkeiten bedenkt, entdeckt viele Vorzüge, von denen unsere Gesellschaft als Ganzes profitiert. Big Data im Straßenverkehr kann die Nerven des einzelnen genauso schonen wie die Klimabilanz. Wer die Daten aus Detektoren an Fußgängerampeln, Induktionsschleifen im Asphalt und Kameras im Straßenverkehr intelligent vernetzt, kann in Echtzeit konkrete Ergebnisse liefern: weniger Stau, weniger Zeit im Auto, weniger Schadstoff-Emissionen, mehr freie Parkplätze.
Big Data im Journalismus kann einen Schatz zum Vorschein bringen wie die „Panama Papers“. Hier ist es der Süddeutschen Zeitung gelungen, aus dem gigantischen Wust von 2,6 Terabyte Daten ein detailliertes Netz von organisierter Steuerhinterziehung und damit eine fundamentale Gerechtigkeitslücke aufzudecken.
Mit großen Datenmengen zu hantieren, daraus relevante Erkenntnisse zu destillieren und zu nutzen, ist eine grundlegende Bedingung für künftigen unternehmerischen Erfolg geworden, aber eben auch grundlegend, um unsere Fähigkeit zur gesellschaftlichen Innovation zu erhöhen und am digitalen Freiheitsversprechen zu partizipieren. Das geht nur, wenn wir uns zu Big Data als Prinzip der digitalen Schatzsuche bekennen und gleichzeitig die Regeln dafür neu justieren.
Es gehört zu den Kernaufgaben des Staates, die Daten seiner Bürger zu schützen. Oder besser gesagt: die Souveränität jeder Bürgerin und jedes Bürgers über die Freih- und Weitergabe persönlicher Daten zu sichern. Wenn nun der Wert dieser Daten steigt, steigt auch die Bedeutung dieser Aufgabe. Nur sichere Leitungen und Speicher sowie eindeutige Rechte sorgen für Vertrauen in die Digitalisierung und entscheiden letztlich zwischen Datenklau und Datencloud.
Dennoch muss sich unser Verständnis von Datenschutz verändern. Als Informationen noch analog und ortsgebunden vorlagen, sorgten allein die Gesetze der Physik für ausreichend Privatsphäre. Das digitale Pendant muss man aktiv und immer aufs Neue schützen. Das verweist weniger auf eine ständige Abwehrschlacht, als auf einen emanzipatorischen Gedanken: Moderner Datenschutz muss die Notwendigkeit und die Fähigkeit zur individuellen Kompetenz im Umgang mit digitalisierten Daten vermitteln.
Der klassische Ansatz der Datensparsamkeit erscheint heute hilflos inmitten einer Welt, in der Kommunikations- und Konsumverhalten, Vernetzung und Sensorik immer neue Datenquellen zum Sprudeln bringen.
Für eine Gesellschaft sollte nicht entscheidend sein, ob und wo der Einzelne seine digitale Spur hinterlässt, sondern dass er dies bewusst tun und nach Möglichkeit revidieren, die Spur also wieder löschen kann.
Es geht um Datensouveränität als Ausdruck einer selbstbestimmten und selbstbewussten Entscheidung. Das ist das Gebot der Demokratie im digitalen Zeitalter: dass der Bürger souverän über seine digitale Identität verfügen kann, denn nichts anderes ist die Summe der von ihm und seinem Umfeld generierten Daten. Dieser souveräne Umgang ist ungeheuer anspruchsvoll. Er ist das Herzstück digitaler Bildung. Er muss in mindestens vier Disziplinen erlangt und erlernt werden:
Technische Souveränität: Als eine oft vernachlässigte Nebenwirkung sorgt die Digitalisierung für ein gigantisches Fortbildungsprogramm von Eltern durch ihre Kinder und für unendlichen Gesprächsstoff am Küchentisch. Das ist gut so. Es ist schon eine Erkenntnis, wie man eine App offline schaltet oder wie man den Datenzugriff Dritter auf das eigene Gerät in den Einstellungen unterbindet. Aber es reicht natürlich nicht aus. Denn wer in der digitalen Welt souverän handeln will, muss die Technik beherrschen. Das bedeutet, eine Software nicht nur anwenden, sondern auch programmieren zu können, oder ein besseres Verständnis für Mikroelektronik zu gewinnen. Für Schüler ist es ein nicht zu unterschätzendes Bildungserlebnis, etwas selbst programmiert und gebaut zu haben, um erste einfache Probleme zu lösen.
Eine beeindruckende Initiative, um Jugendliche für diese Art praktischer digitaler Kompetenzerweiterung zu begeistern, ist die in Hamburg entstandene „Hacker School“, die inzwischen auch in vielen anderen Städten aktiv ist. Es ist eine Unternehmerinitiative, die privat getragen wird und Nachmittagsangebote für Schüler bietet. Sie praktiziert digitale Aufklärung. Aber natürlich brauchen wir solche Angebote im Regelunterricht und wir brauchen ein Schulsanierungsprogramm des Bundes, das auch die technische Ausstattung auf die Höhe der neuen Zeit bringt.
Ökonomische Souveränität: Der Preis von Daten korrespondiert damit, was man preisgibt. Das muss man wissen, weil es erklärt, warum die eigenen Angaben für andere attraktiv sind und wie das zentrale Geschäftsmodell der datenzentrierten Ökonomie funktioniert. Uber als weltweit mächtiger Fahrdienstleister besitzt kein Auto. Air BNB als weltweit mächtiger Übernachtungsdienst verfügt über kein Bett. Youtube als weltweit mächtiges Videoportal dreht keinen Clip. Es sind die Daten der Nutzer, die Plattformen wirtschaftliche Macht verleihen. Die Nutzer selbst liefern das Produkt. Wer in der digitalen Welt souverän handeln will, muss diese Wirkung verstehen. Das gilt für Privatpersonen genauso wie für mittelständische Betriebe, die merken, wie sich etwa eine Plattform wie MyHammer zwischen den eigenen Kontakt mit dem Kunden drängelt. Letztlich sorgt ökonomische Souveränität für ein kritisches Konsum- und Marktverhalten, wie man es auch in der analogen Welt erlernen muss.
Psychologische Souveränität: Wer Daten nicht nur schützen, sondern auch nutzen will, glaubt an die Kraft des digitalen Fortschritts. Dass der Kunde über immer mehr Macht und Transparenz verfügt. Dass es vielleicht noch nie leichter und vielversprechender war, ein eigenes Start-up zu gründen. Dass ganz sicher noch nie so viel Bildung und Wissen frei verfügbar war – von der Stanford-Vorlesung bis zur Anleitung für einen Krawattenknoten. Auch diesen Optimismus muss man lernen.
Rechtliche Souveränität: Doch mit individueller Ertüchtigung ist es nicht getan. Die Regeln für den Besitz von und die Verfügungsgewalt über Daten sind eine Machtfrage, die wirtschaftliche und politische Interessen auf den Plan ruft. Spätestens an dieser Stelle kommt der demokratische Staat ins Spiel, denn während der souveräne Akteur von Bildung, aber auch von Eigeninteresse und Eigeninitiative lebt, müssen staatliche Stellen den Missbrauch und sei es die Monopolisierung von Daten verhindern.
Es bedarf also klarer Regeln, damit Datensouveränität möglich wird. Umso wichtiger ist es, einen europaweiten digitalen Ordnungsrahmen voranzutreiben, einen kontinentalen Kompass für die digitale Souveränität der Bürgerinnen und Bürger.
Das betrifft Fragen des Kartellrechts und des Urheberrechts, die wir im aktuellen Grünbuchprozess des Wirtschaftsministeriums stellen, und natürlich den Datenschutz. Die neue europäische Datenschutzgrundverordnung ist ein Meilenstein, den es nun einzusetzen gilt. Wir sollten nationale Spielräume nutzen, unseren hohen Persönlichkeitsschutz bewahren und klarstellen, in welchen Feldern was zulässig ist.
Der Mensch als Souverän seiner Daten wird ab 2018 enorm von der neuen Grundverordnung profitieren: Die Datenportabilität, das „Recht auf Vergessen“, die Regelungen zu Datenlecks und verständlicher Sprache stärken die Position des selbstbewussten Nutzers und den digitalen Wettbewerb. Der Einzelne gewinnt wirkungsmächtige Instrumente für seine rechtliche und ökonomische Souveränität. Er gewinnt an Selbstbestimmung und Freiheit. In diesem Geist stellt unser Grünbuch weitere Fragen: Kann es nutzerfreundliche Wege geben, um wie in der analogen Welt private Daten nach Sensibilität abzustufen? Oder: Sind neue Formen der Einwilligung denkbar, die den Wert von Daten besser verdeutlichen?
Antworten darauf müssen dem souveränen Nutzer helfen und einer einfachen Handhabe genügen. Es geht ums Bedienen, nicht ums Belehren. Es muss dem freiheitlichen Gedanken der Digitalisierung folgen, etwas zu tun oder es zu lassen. Denn Freiheit war nie die Einsicht in eine Notwendigkeit, sondern im Gegenteil eher die notwendige Uneinsichtigkeit.
Der souveräne Bürger entscheidet frei, wo er den digitalen Fußabdruck setzt, und er weiß, mit welchen rechtlichen und technischen Möglichkeiten er ihn anonymisieren, die Verfügung einschränken, auf andere übertragen oder gänzlich revidieren kann.
Dies sind die Bedingungen für die Digitalisierung einer demokratischen und freien Gesellschaft und in diesem Sinne legt digitale Bildung den Grundstein für einen digitalen Gesellschaftsvertrag und für die conditio humana einer neuen Zeit. Bei der digitalen Bildung geht es – wie im humanistischen Bildungsideal – immer noch darum, die Welt zu verstehen. Digitale Bildung vermittelt den Jugendlichen und jungen Erwachsenen die notwendigen Kompetenzen und Orientierungen, um sich in der Welt von heute und von morgen zurecht zu finden, mehr noch: um den Freiheitsanspruch zu erneuern, sein Leben selbstbestimmt und selbstverantwortet zu gestalten. Denn Wissen ist Macht zur Emanzipation. Das ist der digitale Bildungsauftrag.